Minellis letzte Schlacht – ein Augenschein

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Wucher und selbstsüchtiger Bereicherung im Zusammenhang mit Sterbehilfe: So lauten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Zürich gegen den Gründer der Sterbehilfeorganisation „Dignitas“, Ludwig Minelli. Am Freitag, den 18. Mai 2018, musste sich Minelli wegen dieser Straftatbestände vor dem Bezirksgericht Uster verantworten. Ein Augenschein vor Ort.

Keine Spur von Altersmilde oder Kampfesmüdigkeit – ganz im Gegenteil. Minelli, der mittlerweile 85 Jahre auf dem Buckel hat, schreitet zügigen Schrittes und mit einem Rollkoffer voller Akten kurz vor 08.30 Uhr auf das Berzirksgericht Uster zu. „Vollkommen haltlos, einfach nur lächerlich“ seien die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Die von der Staatsanwaltschaft berechneten Kosten einer Sterbebegleitung stammten von einer Person, die von diesem Geschäft „nicht die geringste Ahnung“ hätte.

Die Vorwürfe: Eine 80-jährige Frau aus Deutschland hatte Minelli im Jahre 2003 100’000 Franken überwiesen. Da die Frau nicht todeskrank war, erklärte sich erst der vierte von Minelli bemühte Arzt bereit, das Rezept mit dem todbringenden Natriumpentobarbital auszustellen. Pro memoria: Die Sterbehilfeorganisation Exit veranschlagt die Durchschnittskosten pro Fall auf 5’000 – 6’000 Franken. Wegen selbstsüchtiger Motive wirft ihm der Staatsanwalt vor, den Tatbestand von Art. 115 Strafgesetzbuch erfüllt zu haben („Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft“). Der zweite Fall datiert aus dem Jahre 2010. Minelli hatte einer 84-jährigen Frau und deren 55-jährigen Tochter, beide ebenfalls aus Deutschland stammend, 22’200 Franken in Rechnung gestellt, obwohl die tatsächlichen Kosten laut Staatsanwalt nur 10’400 Franken betrugen. Er hatte Minelli in diesem Zusammenhang zusätzlich wegen Wucher angeklagt.

Erika Preisig was here
Minelli weiss genau: Verliert er diesen Prozess, ist es mit seinem Geschäftsmodell, das primär vom Sterbetourismus lebt, vorbei (mehr als die Hälfte der 222 im vergangenen Jahr vom Verein ‚Dignitas‘ ins Jenseits beförderten Personen stammt aus Deutschland). Von einem ‚Freitod‘, wie Minelli seine Suizidbeihilfe beschönigend apostrophiert, wird man in einem solchen Falle schwerlich sprechen können. Dies gilt mutatis mutandis auch für Minellis Schwester im Geiste, die aus Österreich eingesickerte Ärztin Erika Preisig, die unlängst von einem grotesk-gigantischen Medienspektakel sekundiert dem 104-jährigen Australier David Goodall in der Region Basel zum Suizid verhalf. Inmitten der 27 Journalisten und Zuschauer äugte sie mit eiskalt-starrem Blick unentwegt auf die in den Prozess involvierten Personen – in auffallendem Kontrast zu ihren auf dem Stuhl nervös hin und her changierenden Füdlibacken.

Entsprechend der Bedeutung dieses Prozesses für ihn selbst wie auch für die von ihm vertretene Organisation legte sich Minelli trotz seines hohen Alters mit beeindruckendem physischen und geistigen Engagement ins Zeug. Man spürte sogleich: Da ist ein Mann am Werk, der gleichsam von einem missionarischen Furor getrieben glaubt, nicht nur der Schweiz, sondern der ganzen Welt zum „Menschenrecht auf Suizid“ verhelfen zu müssen. Derart von seinem Sendungsbewusstsein erfüllt, duldet Minelli keinen Widerspruch, ist ihm jedes Mittel recht. Als ihm beispielsweise seine Sterberäumlichkeiten in einem Zürcher Industriegebiet gekündigt werden und er auf die Schnelle keinen Ersatz findet, beschafft er sich kurzerhand mit dem Luftballongas Helium gefüllte Plastiksäcke, die sich lebensmüde Personen auf einer Autobahnraststätte über den Kopf stülpen. Dies, um – wie er dem Gerichtsvorsitzenden gesteht – sein Geschäftsmodell nicht unterbrechen zu müssen. Gemäss dem leitenden Oberstaatsanwalt Andreas Brunner soll der Todeskampf weit über zehn Minuten gedauert haben.

Und: Je offensichtlicher seine Schwächen und Fehltritte sind, umso verbissener und obsessiver kämpft Minelli, schreckt auch nicht vor unverfrorenem Etikettenschwindel zurück. Sein oberstes Ziel sei es, „Suizidprävention zu fördern und Suizide zu verhindern“, stellt Minelli die Praxis seines Geschäftsmodells auf den Kopf. Auf brenzlige Fragen des Gerichtsvorsitzenden Gregor Mercier reagiert Minelli oft dünnhäutig oder weicht aus. Das Argument, wonach die Kosten von Dignitas viel höher sind als jene von Exit, versucht er mit einem fiktiven, von ihm selbst konstruierten Beispiel zu kontern: Wenn beispielsweise eine Frau, die in Königsberg geboren wurde (dem heutigen sich in Russland befindenden Kaliningrad), um Suizidbeihilfe ersuche, sei es extrem schwierig und kostenintensiv, die nötigen Dokumente aufzutreiben, um eine rechtskonforme Sterbebegleitung durchführen zu können. Um die Schwachstelle seiner Hauptkampflinie abzudichten, verweist Minelli immer wieder auf seine politische Kampagnen und die Ausweitung seines Geschäftsmodells, für welche er die Überschüsse jener Beträge verwendet habe, welche er zuvor den sterbewilligen Personen abgeknöpft hatte. Aber ebenso oft muss er sich vom Richter sagen lassen, dass diese Zweckverwendung bzw. Zweckentfremdung zum damaligen Zeitpunkt von den Dignitas-Statuten nicht vorgesehen war. Zur Erläuterung: Bis 2012 erwirtschaftete Minelli mit seinem Verein Dignitas Gewinne von insgesamt 2,7 Millionen Franken, Gewinne, von denen er allein 700’000 Franken für die Bekämpfung der Zürcher EDU-Initiativen für ein Verbot des Sterbetourismus einsetzte.

Juristische Nebelpetarde
Entsprechend der kapitalen Bedeutung dieses Strafprozesses sattelte Minelli sein bestes Schlachtross als Rechtsvertreter für dieses Gefecht: Dr. Frank Petermann: ein versierter, publizistisch überaus eifriger Erfüllungsgehilfe von Minellis ‚Kultur des Todes‘. Bereits am Vormittag nahm er mehr als eine volle Stunde in Anspruch, um den Prozess platzen zu lassen: „Eine juristische Nebelpetarde“, bilanzierte der Staatsanwalt bündig dieses an den Haaren herbeigezogene Störmanöver – ein Befund, dem sich Richter Mercier vollumfänglich anschloss. Am Nachmittag, als es um die inhaltlichen Aspekte der Strafklage ging, traktierte Anwalt Petermann Gericht und Zuhörerschaft während fast vier Stunden, um Minellis vermeintlich altruistische Beweggründe („Durchsetzung des Menschenrechts auf einen selbstbestimmten Tod“) als irgendwie doch noch plausibel erscheinen zu lassen. Wohl niemand im Gerichtssaal wollte ihm hingegen widersprechen, als er Minellis Dignitas als veritable „Kampforganisation“ bezeichnete.Es handelt sich nota bene um den gleichen Rechtsanwalt, der im Jahre 2013 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für eine Klientin das Recht auf den Bezug des Sterbemittels Natrium-Pentobarbital erstreiten wollte. Der Clou dabei: Das Bundesamt für Justiz kam ihm auf die Schliche – die Frau war bereits 2011, also eineinhalb Jahre vor Prozessbeginn, verstorben. Rechtsanwalt Petermann will vom vorzeitigen Exitus seiner Mandantin nichts gewusst haben. Honi soit qui mal y pense!

Nach mehr als 12 Stunden kam dieser Verhandlungsmarathon doch noch an sein Ende. Der sichtlich erschöpfte Gerichtsvorsitzende Gregor Mercier sah sich verständlicherweise ausserstande, das ursprünglich noch für den gleichen Tag in Aussicht gestellte Urteil zu fällen und musste die Anwesenden auf ein späteres Datum vertrösten.

Wegen Verleumdung verurteilt
A propos Urteil: Als sich der Richter mit der Frage an Minelli wandte, ob der ihm vorliegende Auszug aus dem Strafregister immer noch aktuell sei, antwortete er mit einem erleichterten „Ja“. Auf die Zusatzfrage, ob das Urteil des jüngst erfolgten Strafprozesses, dem sich Minelli wegen Verleumdung der heutigen Regierungsrätin Silvia Steiner zu stellen hatte, wenigstens im Dispositiv vorliege, antwortete Minelli ebenfalls mit „Ja“. Es war ein ausgesprochen zerknirschtes „Ja“, hatte ihn doch das Bezirksgericht Zürich schuldig gesprochen.

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