Mit Hilfe bezahlter Meinungsumfragen zu mehr Organspenden?

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Vorgeschichte

Am 31. Mai 2018 veröffentlichte die Vergleichsplattform „comparis.ch“ einen Bericht zu einer in ihrem Auftrag erstellten Umfrage zum Thema Organspende [1]. Gemäss Aussage dieses Berichts würden „63 Prozent der Deutschschweizer und Romands… sogar eine Verfassungsänderung befürworten“, der zufolge jeder verstorbenen Person Organe entnommen werden können, sofern sie zu Lebzeiten nicht explizit widersprochen hat (sog. „Widerspruchslösung“). Des weiteren wird auf die zur Zeit laufende Volksinitiative mit dem unverfänglichen Titel „Organspende fördern – Leben retten“ hingewiesen. Mit einem Mix aus Werbung und Drohung doppelt Comparis-Krankenkassenexperte Felix Schneuwly nach: „Die Widerspruchslösung ist ein Anreiz für jeden für uns, sich über Organspenden Gedanken zu machen und sich dafür oder dagegen zu entscheiden…Wer das als Bevormundung oder gar als Zwang zum Organspenden missversteht, sollte darauf verzichten, das eigene Leben je mit einem fremden Organ retten zu lassen.“ Auch die Gratiszeitung 20min berichtete über die Umfrage und titelte noch gleichentags, d.h. ebenfalls am 31. Mai 2018: „63 Prozent befürworten eine automatische Organspende.“ [Online Artikel siehe 2]

Offensichtlich traute aber die Zeitung 20min der von ihr veröffentlichen „comparis-Umfrage“ selber nicht ganz und führte in eigener Regie parallel eine Live-Umfrage durch. Und siehe da: 48 Prozent sprachen sich darin gegen die Widerspruchslösung aus, nur 41 Prozent dafür. Eine ebenso substantielle wie verblüffende Diskrepanz. Für HLI Grund genug, den involvierten Akteuren auf den Zahn zu fühlen.

Was steckt hinter der Umfrage?

Der Geschäftsführer der die Umfrage durchführenden Firma MarketAgent [3] lehnte es ab, HLI Angaben zu genauen Fragestellungen und Auswertungsdetails der Umfrage zuzustellen, da der Auftraggeber diese freigeben müsste. Allerdings gab der Geschäftsführer unumwunden zu, dass die Befragten aus einem vorbestehenden Pool von rund 54’000 Personen stammen, welche sich auf der Plattform der Firma eingetragen haben und bereit sind, für Umfragen zur Verfügung zu stehen – meistens werden sie Online durchgeführt. Der Clou dabei: Oft werden Umfragen zu verschiedenen Themen aneinandergehängt, welche gegebenenfalls in einem Zug durchgeklickt werden können. Im Gegenzug erhalten die Befragten am Schluss Einkaufsgutscheine, Rabattgutschriften oder andere „Incentives“. Auf explizite Nachfrage von HLI bestätigte der Geschäftsführer, dass die Bereitschaft zur Teilnahme auch in bar abgegolten werden kann. Das dahinter stehende Geschäftsmodell ist klar: Umfragen, die gestützt auf einen vorbestehenden Pool sozusagen per Mausklick generiert werden, sind viel schneller und vor allem viel billiger zu bewerkstelligen, als wenn Leute in ihrer Feierabendruhe erst via Telephon gestört werden müssen, um ihre Meinung zu bestimmten gesellschaftspolitischen Fragestellungen zu eruieren. Dass damit auch die Aussagekraft einer solchen „Discount-Umfragemethode“ in Mitleidenschaft gezogen wird, liegt auf der Hand. Denn wer könnte es „Pool-Abonnenten“ verargen, wenn sie primär die rasche Erledigung des Umfrage-Katalogs im Auge haben statt die sorgfältige Beantwortung der darin aufgelisteten Fragen.
Comparis-Mann Felix Schneuwly wiegelt gegenüber HLI ab: die Umfrage sei lediglich als ein Beitrag zum Nachdenken gedacht – und stellt damit an die Gutgläubigkeit der Öffentlichkeit gewaltige Anforderungen.

Wie lauteten die Originalfragen?

Dankenswerterweise hat comparis via Befragungsinstitut HLI die Umfrage im Detail zugestellt. Les voilà:

  • […] Haben Sie persönlich einen Organspendeausweis?
  • Wir zeigen Ihnen anbei einige Aussagen in Bezug auf das Thema Organspende. Wie stehen Sie dazu? (Stimme zu / lehne ab)
  • Im Zweifelsfall sollten Angehörige von Personen, die keinen Organspendeausweis besitzen, einer Organspende zustimmen dürfen.
  • Jede Person sollte automatisch als Organspender herangezogen werden dürfen, ausser diese Person hat sich explizit gegen eine Organentnahme ausgesprochen.
  • Nur Personen, die einen Organspendeausweis besitzen, sollten für eine Organspende in Frage kommen.

Was auffällt: Nach dem von comparis in ihrem Bericht behaupteten Wunsch einer Verfassungsänderung im Sinne einer Widerspruchslösung, den sich angeblich 63 Prozent der Bevölkerung zu eigen machen, wurde gar nie gefragt! Dieses „Wunschergebnis“ wurde von comparis schlicht faktenfrei in die Umfrage hineininterpretiert.

Die Selbstzensur von 20min

HlL hat in der Folge mit D. Waldmeier, dem Politikchef und stv. Leiter der Rubrik Schweiz von 20 min, Kontakt aufgenommen. HLI machte ihn darauf aufmerksam, dass in diesem Zusammenhang einschlägige Kriterien des Schweizerischen Presserates betreffend Veröffentlichung von Umfragen nicht eingehalten wurden (u.a. sprach 20min von einer „repräsentativen Umfrage“). D. Waldmeier nahm umgehend einige Textkorrekturen vor. Auch ist ihm zugute zu halten, dass im gleichen Artikel immerhin eine schweizweit anerkannte Kritikerin der Widerspruchslösung zu Wort kam. Aber: Waldmeier löschte die eigene, ausschliesslich online publizierte, ungleich realistischere Umfrage postwendend, ihr Widerspruch zur Print-Version à la comparis war ja auch zu offensichtlich: Eine „Widerspruchs-Lösung“ der ganz besonderen Art! Die Frage, ob dies der Förderung der Organspendenbereitschaft der Bevölkerung dient, ist rhetorischer Natur.

 

[1]https://www.comparis.ch/information/gesundheit-praevention/studie/organspende-volksinitiative
[2]http://www.20min.ch/schweiz/news/story/Schweizer-befuerworten-Organspende-fuer-alle-16984198
[3]https://marketagent.com/

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