Was gilt die Menschenwürde und das Recht auf Leben noch am Forschungsstandort Schweiz?

Am 9. und 10.3.11 hat der Nationalrat nach einer längeren Debatte das Humanforschungsgesetz (HFG) des Bundesrates mit grossem Mehr von 149 zu 13 Stimmen bei 6 Enthaltungen gutgeheissen. Die Vorlage wird nun an den Ständerat gehen, der aber noch keine Traktandierung vorgenommen hat. Dieses Gesetz basiert auf dem Verfassungsartikel 118b, auf dessen deutliche Annahme mit 77,2%  anlässlich der Volksabstimmung vom 7. März 2010 verschiedene Nationalräte hinwiesen. HLI-Schweiz hat allerdings schon vor der Abstimmung seine Ablehnung zum Verfassungsartikel eingehend begründet. Denn mit der ausdrücklichen Erwähnung der Forschungsfreiheit und weiteren verfassungsmässigen Bestimmungen waren negative Auswirkungen vorprogrammiert. In der abgelaufenen Debatte im Nationalrat scheiterten nämlich sämtliche Versuche, das Gesetz im Sinne des Lebensschutzes zu verbessern.
Die Medienkommentare waren meist positiv und man stellte fest, dass das HFG nur punktuell umstritten gewesen sei 1) , andererseits wurde die Zufriedenheit der Pharmaindustrie2), sowie  von Ethikern und Forschern betont, wogegen nur „Religiös-Konservative“ Nein gesagt hätten3). Lediglich der Tagesanzeiger behauptete, dass der Forschung enge Grenzen gesetzt worden seien.4)

Aus Sicht von HLI sind in der parlamentarischen Diskussion des HFG jedoch besorgniserregende und für den Lebensschutz inakzeptable Tendenzen festzustellen, die noch eingehender analysiert werden müssen.

Die Ablehnung eines Antrags, die Forschungsfreiheit in Art 1 des Gesetzes entgegen dem Vorschlag des Bundesrates erneut zu erwähnen, erfolgte  mit einem Zufallsmehr von 77 gegen 76 Stimmen. Dabei zeigte sich, dass viele Nationalräte Menschenwürde und Forschungsfreiheit auf eine Ebene stellten und als gleichberechtigt gegeneinander abwägbar betrachteten. Dass Forschung dort nichts mehr zu suchen hat, wo die Menschenwürde tangiert wird, kommt kaum mehr in den Blick. Diese Mentalität war auch bestimmend für die ganze Debatte.

So hatte auch ein Antrag Freysinger/Neyrinck, den Begriff des minimalen Risikos einzugrenzen, keine Chance. Es wurde vorgeschlagen, darunter lediglich vorübergehende Störungen des Wohlergehens zu sehen, auch wenn diese nur selten zu erwarten sind. Der Vorstoss wurde vor allem lanciert, um Fruchtwasserpunktionen bei gesunden Schwangeren als höheres Risiko einstufen zu können. Denn diese Massnahme kann zum Abort mit Abtötung des Fötus führen.  Der Rat verwarf diese lebensschützerische Einschränkung mit 166 gegen 13 Stimmen, wobei von einer Nationalrätin bedeutet wurde, dass eine solche Teilnahme ja freie Entscheidung der Frau sei: Das bekannte „Free-Choice“ Argument! Diese Entwicklung ist umso bedenklicher, als der Art. 18, der gerade Ausnahmen einer vollständigen Aufklärung im Falle minimaler Risiken formuliert mit 100 gegen 64 Stimmen vom Rat im Gesetz belassen wurde.

Die Parlamentarier fanden zudem im Hinblick auf den Verfassungsartikel 118b  eine Diskussion um den Einbezug Urteilsunfähiger in Forschungsprojekte (Art. 20a bis 23) nicht mehr für sachdienlich.

Auch die Eingabe von Neirynck/Graf/G.Müller/Lachenmeier zu Art. 25 scheiterte, welche die Zulässigkeit fremdnütziger Forschung an schwangeren Frauen auf Fälle ohne Risiko und mit minimalen Belastungen einschränken wollte. Die Ablehnung mit 124 zu 25 Stimmen erfolgte nach kurzer Diskussion mit der Ausrede, dass ein Nullrisiko in Forschungen nie existiere.

Der Antrag Brönnimann, Art. 26 zu streichen, welcher Forschungsprojekte über Methoden des Schwangerschaftsabbruchs zulässt, wurde gar ohne relevante Diskussion mit 130 gegen 16 Stimmen verworfen.

Keine Chance hatte auch ein Antrag auf Streichung des Art 33, welcher Ausnahmen von der Einwilligung zur Verwendung von biologischem Material und gesundheitsbezogenen Personendaten vorsah.

Eine deutliche Abfuhr erlitt mit 119 zu 34 Stimmen auch der wichtige Vorstoss Kunz /Freysinger, in den Artikeln 38 und 39 die Forschung an abgetriebenen Embryonen und Föten zu verbieten. Hier kann der Verdacht nicht unterdrückt werden, dass die bereits verdeckt laufende industrielle „Verwertung“ abgetriebener Kinder in Form von Gewebekulturen und der Herstellung von embryonalen Zelllinien zur Impfstoffherstellung nachträglich legitimiert werden soll. Entsprechende Recherchen können im Buch von A. M. Linder nachgelesen werden.

Fazit: Die Nationalratsdebatte war von der Tendenz gekennzeichnet, Menschwürde der Forschungsfreiheit gleichzustellen, zu relativieren und damit zur Disposition zu stellen. Lockerungen bei der informierten Zustimmung zu Forschungsprojekten war ein Thema, sowie die Instrumentalisierung von Schwangeren und Ungeborenen für fragwürdige Forschungsvorhaben.  Bundesrat Burkhalter sprach zwar in der Eintretensdebatte von einer„mariage entre la recherche et la digneté“. Eine „Heirat“ allerdings, für die mit der Inkaufnahme von Menschenopfern ein hoher Preis bezahlt werden muss. Klar ist, dass die Pharmaindustrie eine einflussreiche Lobby hat. Für die Schutzbedürftigsten in unserer Gesellschaft finden sich im Parlament allerdings nur wenige Fürsprecher. HLI wird sich auf die zu erwartende Ständeratsdebatte konzentrieren und mit Eingaben an die zuständigen Stellen aufwarten.

Quelle/Links:
1) NZZ vom 11.3.11; 2) Basler Zeitung vom 11.3.11, 3) Aargauer Zeitug vom 11.3.11; 4) Tagesanzeiger vom 11.3.11

Wortprotokolle Frühjahrsession vom 9.3.11 und vom 10.3.11

Alexandra M. Linder, Geschäft Abtreibung, Sankt Ulrich Verlag 2009

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