Antirassismus-Strafnorm: Thurgauer Gericht schützt Meinungs- und Glaubensfreiheit

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Wegen einer vermeintlich homophoben Aussage hatte die Staatsanwaltschaft Bischofszell den Jungpolitiker Benjamin Zürcher zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun hat das Bezirksgericht Weinfelden den Strafbefehl aufgehoben.

Im Vorfeld über die Abstimmung über die „Ehe für alle“ setzte Benjamin Zürcher folgenden Tweet ab: „Wenn es erlaubt würde, dass das Kinderadoptionsrecht auch für Homosexuelle gelten würde, kann das Pädophilie fördern, wie es auch schon der Biologe Prof. Dr. U. Kutschera sagte. Mit irgendwelcher Homophobie hat das nichts zu tun.“

Ein inszenierter Sturm in den sozialen Medien war die Folge. Die Evangelische Volkspartei (EVP) schloss ihn kurzerhand aus der Partei aus. Vor allem aber die auf einschlägige Denunziationen abonnierte Homo-Lobby Pink Cross machte umgehend mobil und verklagte Benjamin Zürcher wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm. Ihr kam zupass, dass kurz zuvor, nämlich mit Wirkung vom 1. Juli 2020, das Diskriminierungsverbot einer Rasse, Ethnie oder Religion um den Begriff der „sexuellen Orientierung“ erweitert worden war (vgl. Art. 261bis Strafgesetzbuch). Die Staatsanwaltschaft Bischofszell verurteilte den Jungpolitiker zu einer Geldstrafe von Fr. 1’500 bedingt und einer Busse von Fr. 300.-. Ein Indiz für die Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft ist die Tatsache, dass sie dem gegen ihren Strafbefehl Einsprache erhebenden Jungpolitiker gleich auch noch den unentgeltlichen Rechtsbeistand verweigerte, obwohl letzterer sich noch in Ausbildung befand und nur über einen Praktikantenlohn verfügte. Das Obergericht des Kantons Thurgau korrigierte in einem fundierten Urteil diesen Fehlentscheid. Zur Begründung führte das Obergericht insbesondere an, dass das Verhältnis dieser neuen Strafrechtsnorm zur Meinungsfreiheit schwierige, einen Laien leicht überfordernde Fragen aufwerfe, zumal diesbezüglich noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung existiert.

Das Bezirksgericht Weinfelden hat nun seinerseits in einem jüngst ergangenen Urteil den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft auch materiell kassiert und Benjamin Zürcher freigesprochen (vgl. St. Galler Tagblatt vom 28. Oktober 2021). Das Gericht befand, der Tweet sei zwar „grenzwertig und verletzlich“, doch tangiere er die Menschenwürde von Homosexuellen nicht, denn im „politischen Diskurs gilt ein anderer Massstab.“ Denn in einer Demokratie, so das Gericht weiter, ist es von zentraler Bedeutung, dass auch Standpunkte vertreten werden können, die einer Mehrheit missfallen und für viele schockierend wirken. Kritik muss dabei in einer gewissen Breite und bisweilen auch in überspitzter Form zulässig sein.

Das Urteil des Bezirksgerichts Weinfelden ist zwar noch nicht rechtskräftig, hat aber doch Signalwirkung, stellt sozusagen ein Präjudiz dar, denn bislang ist noch kein anderes Urteil bekannt, das sich mit der Grenzziehung von Meinungs- und Glaubensfreiheit einerseits und dem erst vor kurzem in Kraft getretenen Straftatbestand der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung andrerseits auseinandersetzten musste.

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