Mehr Lebensrecht für alle: Fünfzigjähriges Leiturteil «Roe v. Wade» durch oberstes US-Gericht aufgehoben

Die Verfassung verleiht kein Recht auf Abtreibung“: Mit diesem Satz verhalf das oberste Gericht der USA, der Supreme Court, am 23. Juni 2022 dem Lebensrecht von Ungeborenen zum Duchbruch. Bis anhin hatte das Gegenteil gegolten: Gestützt auf das Leiturteil „Roe versus Wade“ aus dem Jahre 1973 galt in der Praxis ein Recht auf Abtreibung bis ca. zur 24. Schwangerschaftswoche. Wie die Neue Zürcher Zeitung zutreffend bilanzierte, kommt diese Kehrtwendung einem „gesellschaftlichen und politischen Erdbeben gleich.“ Entsprechend heftig sind die Pro- und vor allem Kontra-Reaktionen ausgefallen.

Was spielte sich im Vorfeld des Entscheids ab?
Am 2. Mai 2022 veröffentlichte das Magazin ‚Politico‘ in den USA einen Vorentwurf des Entscheids. Ein an sich ungeheuerlicher Vorgang. Diese gezielte Indiskretion hatte zum Zweck, gegen die sich abzeichnende Mehrheit für den Lebensschutz im Supreme Court mobil zu machen, notfalls auch mit Gewalt. Die Saat ging auf. Die Neue Zürcher Zeitung widmete diesem singulären Vorgang einen Beitrag mit dem Titel „Die Linke terrorisiert die Obersten Richter.“ Darin wird von einem Mann namens Nicholas John Roske berichtet, der mit einer Pistole, zwei Magazinen, Munition, einem Messer und Pfefferspray im Gepäck eigens aus Kalifornien angereist war, um den Richter Brett Kavanaugh zu töten. Dieser Irrläufer dürfte sich vom demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, zu seinem kriminellen Vorhaben ermutigt gefühlt haben. Denn Schumer hatte im Vorfeld der Urteilsfällung laut NZZ an die Adresse der Lebensschutz-Richter folgende Drohung gerichtet: „Ihr habt den Wirbelwind entfacht, und ihr werdet den Preis dafür bezahlen. Ihr werdet nicht wissen, was euch trifft, wenn ihr mit diesen schrecklichen Entscheidungen weitermacht.

Wie ist es zum jetzigen Entscheid gekommen?
Die jahrzehntelange Sensibilisierungsarbeit von Lebensrechtsorganisationen ist sicher einer der wichtigsten Faktoren. Auch die Wirkung des unablässigen Gebets darf nicht unterschätzt werden. Schliesslich hat das stete Präsenthalten von Lebensrechtsfragen in der Öffentlichkeit ebenfalls dazu geführt, dass die Politik diese Frage nicht einfach unter den Teppich kehren konnte. Trump ist es gelungen, in seiner Amtszeit drei dem Lebensschutz verpflichtete Richter zu ernennen, was schliesslich dazu geführt hat, dass eine Mehrheit den Freipass für Abtreibungen trotz enormem öffentlichem Druck gestoppt hat.

Der konkrete Fall (Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization) betrifft ein Gesetz in Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche ab der 15. Woche verbietet. Weil es gegen die Regelung von «Roe v. Wade» verstösst, wonach Abtreibungen in den ersten beiden Trimestern der Schwangerschaft zulässig sind, sah sich der oberste Gerichtshof der USA veranlasst, sich grundsätzlich mit der Frage der Rechtmässigkeit von Abtreibungen bzw. von deren Verbot zu befassen.

Wie wird die Aufhebung von Roe v. Wade begründet?
Das mit dem Schutz der Privatsphäre begründete Recht auf Abtreibung habe keine Wurzeln «in der Geschichte und in den Traditionen der Nation», argumentiert der Verfasser des Urteils, Richter Alito und schreibt weiter: «Die Zulässigkeit und die Beschränkung von Abtreibungen müssen wie die meisten wichtigen Fragen in unserer Demokratie gelöst werden: indem die Bürger und Bürgerinnen versuchen, sich gegenseitig zu überzeugen und dann abstimmen. Das ist es, was die Verfassung verlangt.“

Welche Auswirkungen hat der Entscheid?
Die fünfzig Bundesstaaten müssen nun wieder selber auf ihrem je eigenen Hoheitsgebiet die Abtreibungsfrage regeln. Einige Bundestaaten haben bereits «Trigger-Gesetze» eingeführt, welche die Abtreibung nach Aufhebung von Roe v. Wade sofort verbieten. Es wird damit gerechnet, dass rund die Hälfte der US-Bundesstaaten Gesetze einführen wird, welche Abtreibungen grundsätzlich verbieten. Der gegenwärtige Präsident Joe Biden hatte bereits im Mai vergeblich versucht, ein neues Bundesgesetz einzubringen, welches auf nationaler Ebene den Zugang zur Abtreibung regeln wollte. Er ist damit an der notwendigen Mehrheit im Senat gescheitert.

Wie sind die ersten Reaktionen?
Die Reaktionen der Abtreibungs-Lobby sind ausgesprochen militant und aggressiv ausgefallen.

US-Präsident Joe Biden hat die historische Entscheidung als «tragischen Fehler» bezeichnet. Die Entscheidung gehe auf eine «extreme Ideologie» zurück und habe den Frauen in den USA ein verfassungsmässiges Recht «weggenommen», sagte Biden am Freitag im Weissen Haus in Washington. «Die Gesundheit und das Leben der Frauen dieses Landes sind jetzt in Gefahr», warnte der Präsident.

Demokratische Stimmen geben sich schockiert. Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, schrieb auf Twitter: «Es ist ein Schlag ins Gesicht für Frauen.» Die Sache sei «todernst». Der zitierte Chuck Schumer, Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, schrieb: «Heute ist einer der dunkelsten Tage, die unser Land je gesehen hat.» Amerikanischen Frauen sei ihr Grundrecht auf Abtreibung von Trump-nahen Richtern «gestohlen» worden.

Der ehemalige Präsident Barack Obama schrieb: «Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen – und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern angegriffen.»

Republikanische Stimmen hingegen begrüssten den Entscheid. Der Sohn von Ex-Präsident Donald Trump hat die Supreme-Court-Entscheidung als Sieg seines Vaters gefeiert. «Ich bin stolz auf meinen Vater für das, was er heute erreicht hat», schrieb Donald Trump Junior. Sein Vater habe für «unsere Bewegung» drei Richter am Obersten Gerichtshof eingesetzt, die gegen liberale Abtreibungsregeln seien. Auch der konservative texanische Gouverneur Greg Abbott begrüsste das Urteil: Texas sei ein Staat, der ungeborenes Leben schütze, schreib er.

Donald Trump selbst lobte den Entscheid des Gerichtshofs als «Gewinn für das Leben». Dies sei nur möglich gewesen, weil er drei konservative Richter an das Oberste Gericht berufen habe. «Es war mir eine grosse Ehre, das zu tun», schrieb er in einer Mitteilung. Trotz der «radikalen Linken» bestehe noch Hoffnung, das Land zu retten.

In der Schweiz löste der Entscheid des obersten US-Gerichts wütende Proteste seitens der Abtreibungs-Befürworter aus, v.a. in den sozialen Medien. Als Beispiel sei auf einen Beitrag der Plattform nau.ch verwiesen, in welchem sich eine gewisse Lotta Suter über den Abtreibungsentscheid „grün und blau ärgert“ (veröffentlicht unter dem grotesken Titel „US-Schweizerin: Wer will schon in Abtreibungswüste“. Der Chefredaktor der Weltwoche, Roger Köppel, war soweit ersichtlich der einzige, der es wagte, hierzulande der Kultur des Todes die Stirn zu bieten. Auszug aus seinem Editorial:

Eigentlich wollte ich zu diesem Thema schweigen. Man kann nur verlieren. Das Recht auf Abtreibung ist ein Dogma unserer moralinverseuchten Gesellschaft. Die Meinungsmilitanz ist extrem. Man sieht es daran, dass die Versprengten und Verzweifelten, die eigentlich Mutigen, die sich noch getrauen, gegen das Abtreibungstabu das ‚Recht auf Leben‘ einzufordern, aufs übelste verleumdet, niedergeschrien und von den Behörden nicht selten an der Wahrnehmung ihres Rechts auf freie Meinungsäusserung an öffentlichen Kundgebungen gehindert werden.“ Wie wahr! Die Pöbeleien gegen den ‚Marsch fürs Läbe‘ vom kommenden September dürften die bisherigen Dezibel-Werte noch um einiges in den Schatten stellen.

Die Päpstliche Akademie für das Leben schrieb in einer Medienmitteilung:
«Nach 50 Jahren ist es wichtig, wieder eine ideologiefreie Debatte zu beginnen über den Stellenwert, den der Schutz des Lebens in der zivilen Gesellschaft hat, um uns zu fragen, welche Art von Zusammenleben und Gesellschaft wir aufbauen wollen.»

HLI begrüsst den lebensbejahenden Entscheid des obersten US-Gerichts ausdrücklich, hat er doch eine nicht zu überschätzende Signalwirkung weit weit über den amerikanischen Raum hinaus. Dieser Entscheid zeigt zugleich: ein beharrlicher Einsatz lohnt sich. Er unterstreicht auch, wie wichtig, ja ausschlaggebend es ist, die esssentielle Thematik des Lebensrechts in der öffentlichen Wahrnehmung präsent zu halten.

Das Urteil im Original: https://www.scribd.com/document/579588241/Dobbs-v-Jackson-Whole-Women-s-Health

Interessante Links zum Thema:
– FAZ: 13.07.2022; Ch. Funck, Th. Funck: „Roe versus Grundgesetz“: https://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/recht-auf-abtreibung-im-grundgesetz-18170306.html#void

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