Mehr Organspenden um jeden Preis: Bundesrat auf dem Holzweg

Die Thurgauer Nationalrätin Verena Herzog reichte mit 14 Mitunterzeichnenden unter anderem aus SVP, CVP, EVP, EDU eine Motion ein mit dem Titel «Transparente Information und Wahlfreiheit mit der Organspende-Karte». Darin steht die klare Forderung: «Der Bundesrat wird beauftragt, beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), respektive bei Swisstransplant zu veranlassen, dass auf der Organspende-Karte zwei zusätzliche Felder eingefügt werden, wonach der Spender oder die Spenderin entscheiden kann, ob nach einem Hirntod infolge direkter Hirnschädigung und/oder nach einem Hirntod infolge eines Herz-Kreislauf-Stillstandes Organe gespendet werden möchten.» Zur Information sei an dieser Stelle gesagt: Die Organentnahme nach Herzkreislauf-Stillstand (DCD = Donation after circulatory death) machte in den ersten drei Quartalen von 2023 rund die Hälfte aller Spenden aus… (DCD : DBD = 72 : 78)

Obwohl der Bundesrat auf Grund von Bundesgerichtsentscheiden und mit Einführung des Widerspruchslösung sowieso eine erhöhte Sorgfaltspflicht hat, was die Information der Bevölkerung zum Thema Organspende betrifft, verwertet er den von Verena Herzog ihm zugespielten Steilpass genau für diesen Zweck nicht. Vielmehr behauptet er in seiner Ablehnung des Vorstosses – gegen jegliche Vernunft und Faktenlage und gegen Sinn und Geist des geltenden Transplantationsgesetzes (Art. 9 fordert unter dem Titel «Todeskriterium und Feststellung des Todes»: «1 Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind.» Hervorhebung durch den Schreibenden):
«Wie der Bundesrat bereits in seiner Antwort auf die Frage 23.7529 Herzog «Mehr Transparenz durch korrekte, sachliche Information der Bevölkerung zur Organspende» dargelegt hat, ist in der Schweiz unabhängig von der Art der Spende – also auch nach Herz-Kreislaufstillstand – eine sichere Feststellung des Todes gewährleistet. Nach dem Eintreten eines anhaltenden Herz-Kreislaufstillstands wird die Todesfeststellung von zwei Ärztinnen oder Ärzten (Vier-Augen-Prinzip) durchgeführt, die über die erforderlichen Qualifikationen verfügen. Zudem muss in der Schweiz mit einem Herzultraschall nachgewiesen werden, dass das Herz stillsteht und somit das Gehirn nicht mehr durchblutet wird.»
Der Bundesrat behauptet allen Ernstes, dass eine sichere Feststellung des Todes auch bei der DCD-Organspende gewährleistet sei. Das kommt einer pauschalen, unwissenschaftlichen Behauptung gleich, welche schon länger nicht mehr haltbar ist. Jedenfalls lässt sich damit das Vertrauen, welche einer der wichtigsten Voraussetzungen für eine zunehmende Spendenbereitschaft wäre, nicht aufbauen. Die Wartezeit bei der Todesfeststellung vor DCD-Organspende wurde schon vor einigen Jahren klammheimlich von 10 Min. auf 5 Min halbiert.

Die Ergebnisse eines Tierversuchs mit Schweinen wurde im Journal Transplantation publiziert. Demnach sind die Hirnfunktionen selbst nach einem 8-minütigen Herz-Stillstand nicht irreversibel ausgefallen [1]. Die Autoren stellen fest: «Die Reperfusion des Gehirns während der normothermischen Perfusion führte zu einer Rückkehr der Gehirnaktivität.» Dieser Sachverhalt veranlasst den Neurologen J.L. Bernat zusammen mit weiteren Autoren zur Forderung, die normothermische regionale Perfusion nach DCD sei umgehend zu stoppen [2]

Was viele potentielle Organspenderinnen und Spender nicht wissen: Um die Organe «frischzuhalten», wird der Kreislauf nach Herzstillstand wieder künstlich in Gang gesetzt, vor und bei der Organentnahme. Damit keine Wiederbelebung des Gehirns stattfindet (im verschleiernden Fachjargo «Autoreanimation» genannt) werden kurzerhand die das Gehirn hauptsächlich durchblutenden Halsarterien bewusst abgeklemmt oder mit einem Ballon verstopft. Das stellt sich einfach die Frage, warum diese Abklemmung nötig ist, wenn ja gemäss den vorliegenden SAMW-Richtlinien nach 5 Minuten Hirn- und Hirnstamm irreversibel ausgefallen sein sollen. Leider ist mit diesen Tricksereien keine «sichere Festellung des Todes» gewährleistet, wie der Bundesrat behauptet. Verpflichtet und vielleicht übertölpelt wurde der Bundesrat vielmehr von einer rein kurzfristi- utilitaristisch agierenden Organspendelobby, welche die Transparenz beim Organspenden nicht erhöhen will – selbst um den Preis eines zunehmenden Misstrauens in der Bevölkerung, was sich mit Sicherheit kontraproduktiv auf die Organspendebereitschaft auswirken wird. Der Zweck heiligt anscheinend alle Mittel. Gefragt wäre eine Sicht, welche den Stand der Wissenschaft, die Würde der Sterbenden, die Not der Organempfänger und das Vertrauen der Bevölkerung berücksichtigt. Davon sind wir leider sehr weit entfernt… Immerhin besteht die Chance, dass der Vorstoss im Parlament eine Mehrheit findet, da er dort noch nicht behandelt wurde…

Fussnoten:

[1] Dalsgaard FF, Moeslund N, Zhang ZL, Pedersen M, Qerama E, Beniczky S, Ryhammer P, Ilkjær LB, Erasmus M, Eiskjær H., Clamping of the Aortic Arch Vessels During Normothermic Regional Perfusion After Circulatory Death Prevents the Return of Brain Activity in a Porcine Model. Transplantation 106 (2022) 1763-1769
[2] Dalle Ave AL, Bernat JL, Using the brain criterion in organ donation after the circulatory determination of death. J Crit Care 33 (2016) 114-118, hier 116.

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