Medienleute mögen’s gern eitel, klopfen sich zuweilen kräftig auf die eigene Schulter. So erschien in regelmässigen Abständen in den letzten Monaten landesweit ein Inserat mit dem Titel: „Fake News? Nicht in der Schweizer Presse“. Schweizer Medienschaffende, so war im Folgetext zu lesen, „…überprüfen Quellen, liefern Hintergründe. Glaubwürdigkeit steht bei uns an erster Stelle – ohne Alternativen“. Die hehre, an den Schweizer Psalm gemahnenden Beschwörung eigener Ansprüche endete mit dem fettgedruckten Appell: „Damit Sie Lügen von Fakten unterscheiden können.“
Soweit die Schönheit der Theorie. Beim Blick auf die Fakten wird dieser schöne Schein nicht selten arg getrübt.
Beispiel Nr. 1: Am 26. Februar 2020 veröffentlichte die Gratiszeitung „20minuten“ einen Artikel mit dem Titel „Die Pille danach ist keine Abtreibungspille“. Ist das Kondom geplatzt oder ging die Pille vergessen, weiss „20minuten“ Rat: Die Hormone, die in der Pille danach enthalten sind, verzögern lediglich den Eisprung. Sie sei keine Abtreibungspille, denn „ist die Befruchtung bereits erfolgt, wirkt sie nicht nicht mehr“. Tatsächlich? Die Pendlerzeitung „20minuten“ hätte es besser wissen müssen. Denn bereits rund drei Wochen früher, am 8. Februar 2020, veröffentlichte unser Vorstandsmitglied Dr. med. Nikolaus Zwicky im Thuner Tagblatt einen Leserbrief, in welchem er klarstellte: „Sowohl Levonorgestrel als auch Ulipristal wirken, in der ersten Zyklushälfte eingenommen, ovulationshemmend, verhindern also den Einsprung und damit die Schwangerschaft. Werden diese Substanzen in der zweiten Zyklushälfte, d.h. nach einem möglichen Eisprung eingenommen, können sie nidationshemmend, d.h. frühabtreibend wirken, da sowohl Levonorgestrel als auch Ulipristal die Gebärmutterschleimhaut dergestalt verändern, dass eine allenfalls befruchtete Eizelle, ein Embryo also, sich gar nicht einnisten kann, d.h. abstirbt. Fazit: je nach Zeitpunkt innerhalb des weiblichen Zyklus kann die ‚Pille danach‘ sehr wohl (früh-)abtreibend wirken und somit eine Abtreibungspille sein.“
Beispiel Nr. 2: Die als Qualitätszeitung firmierende Neue Zürcher Zeitung veröffentlichte in der Ausgabe vom 22. Februar 2020 einen ausführlichen Bericht über die im portugiesischen Parlament geführte Debatte zur aktiven Sterbehilfe. Eine Parlamentsmehrheit entschied, inskünftig die Tötung auf Verlangen zu legalisieren. Für die Inkraftsetzung ist noch die Unterschrift des Staatspräsidenten erforderlich. Damit würde sich, so die NZZ-Korrespondentin Julia Monn, Portugal in den kleinen Kreis von Ländern einreihen, in denen aktive Sterbehilfe unter gewissen Umständen möglich ist: „Weltweit sind dies nur die Schweiz, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Kanada.“ Auch hier drängt sich eine Richtigstellung auf: Art. 114 Strafgesetzbuch verbietet ausdrücklich die Tötung auf Verlangen: „Wer aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, einen Menschen auf dessen ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Gefängnis bestraft“. Im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, aber von der Rechtslehre als zulässig taxiert ist lediglich die sog. indirekte aktive Sterbehilfe, d.h. es werden zur Linderung von schweren Leiden Mittel eingesetzt (z.B. Morphium), die als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen können.
Beispiel Nr. 3: Das ‚Desinformationsvirus“ rund um das Corona-Virus. So behauptete beispielsweise Danuta Reinholz, Kantonsärztin des Kantons St. Gallen, allen Ernstes, „Fast jeder von uns wird sich mit dem Corona-Virus infizieren“ (St. Galler Tagblatt vom 16. März 2020). Am Freitag, den 22. März 2020, prophezeite der Luzerner Gesundheitsdirektor: „In fünf bis acht Tagen haben wir in der Schweiz Zustände wie jetzt in der Lombardei.“ Diese Frist ist mittlerweile abgelaufen, von Zuständen wie in der Lombardei kann – gottlob – hierzulande keine Rede sein. Der sich als Epidemie-Papst aufplusternde Prof. Adriano Aguzzi vom Universitätsspital Zürich ‚wusste‘ bereits am 13. März 2020: „Was der Bundesrat beschlossen hat, ist absurd – es droht eine Katastrophe“ (www.higgs.ch). Doch keine Bange! Brandstifter Aguzzi spielt gleich Feuerwehr in eigener Sache, ‚weiss‘ auch selbst, wie das durch sein verantwortungsloses, die Bevölkerung verunsicherndes Gerede entfachte Feuer wieder gelöscht werden kann: „Alle universitäre Forschung ist auf das Corona-Virus ausgerichtet. Schnelle Ergebnisse (sic) werden kommen“ (20minuten vom 27. März 2020).
Urs P. Gasche fasst sein Résumé über die Berichterstattung zum Corona-Virus zutreffend mit der Überschrift zusammen: „Covid-19 überfordert die Medien“ (www.infosperber.ch). Er führt die Informationsdefizite in erster Linie darauf zurück, dass die grossen Print-Medien wie auch die Radio- und Fernsehanstalten Wissenschaftsjournalisten, welche die Mainstream-Experten mit kritischen Fragen konfrontieren könnten, fast überall weggespart haben. Vor allem sind seine fundierten Ausführungen aber auch ein eindrücklicher Beleg für den alten Kalauer „Ich traue nur jener Statistik, die ich selber gefälscht habe.“ So weist Urs P. Gasche beispielsweise nach, dass die Tagesschau (und nicht nur sie!) das fast gebetsmühlenhaft repetierte Mantra von der „rasanten Zunahme“ der Neuinfizierungen nur dadurch aufrecht erhalten konnte, als neu alle bloss „positiv Getesteten“ mit der Zahl jener verglichen wurden, deren einige Tage zuvor erfolgte Infizierung zusätzlich vom Genfer Referenzlabor bestätigt worden war. Die Differenz betrug bis zu 40 Prozent. Ebenfalls wurde unterschlagen, dass die „rasante Zunahme der Neuinfizierten“ wesentlich darauf zurückzuführen ist, dass die Zahl der durchgeführten Tests sukzessive ausgeweitet wird.
Überfordert sind aber beileibe nicht nur die Medien, nur allzu oft heillos überfordert ist die ganze Gesellschaft. In einem luziden NZZ-Gastkommentar vom 25. März 2020 hat Hans Ulrich Gumbrecht darauf hingewiesen, dass die einschlägigen Experten unfähig sind, kohärente diagnostische oder gar therapeutische Orientierungen zu liefern. In der Tat herrscht unter den Koryphäen der Epidemologie und Immunologie eine regelrechte Kakophonie betreffend adäquate Strategie zur Bekämpfung des Corona-Virus. So ist jüngst ein Streit ausgebrochen über die Frage der Opportunität des Tragens von Schutzmasken im Alltag. Während der Berner Professor Peter Jümi Schutzmasken im Alltag als kontraindiziert bezeichnet („Ein Witz, weil Schutzmasken dazu führen würden, sich im Gesicht noch mehr zu berühren, wodurch sich Viren noch besser verbreiten könnten“) sieht George Gao, Direktor des chinesischen Zentrums für Krankheitsbekämpfung just im Schutzmasken-Obligatorium einen Erfolgsfaktor in der Bekämpfung des Corona-Virus in China. Was allerdings – so Hans Ulrich Gumbrech weiter – noch mehr frappiert, ist die Tatsache, dass die medizinischen und wissenschaftlichen Experten ihrer vorstehend genannten Unfähigkeiten zum Trotz keinen Reputationsschaden erleiden. Hans- Ulrich Gumbrecht trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er dieses per se erstaunliche Phänomen darauf zurückführt, dass die Wissenschaften seit mehreren Jahrzehnten die Religion als Sinnstiftungsinstanzen verdrängt haben und diesen Platz mangels Alternativen relativ unangefochten behaupten könnten (Hans Ulrich Gumbrech schreibt leicht untertreibend, „religiös getönte Reaktionen auf diese Pandemie seien „bisher im Hintergrund geblieben – und wohl nicht allein dort, wo Gottesdienste als Versammlungen verboten wurden.“ Tatsächlich: Wer nach Impulsen der Kirchenleitungen Ausschau hält, um sich gerade in dieser die Grundfesten von Staat und Gesellschaft erschütternden Situation den so oft verdrängten, aber umso wichtigeren Fragen nach der Endlichkeit, nach Leiden, Sterben und Tod als unausweichliche Essentialia einer jeden menschlichen Existenz zu stellen, stösst auf betretenes Schweigen.
Wie sagt es doch ein Sprichwort treffend: „Lügen haben kurze Beine.“ Aber ebenso wahr ist: „Halbwahrheiten haben – leider – lange Beine.“ Und damit sind wir mitten in der Problematik der vorstehend genannten drei Beispiele. Sie stehen stellvertretend für einen Grossteil der Medienberichterstattung. Will heissen: Nicht offensichtliche Lügen, wie uns der Verband Schweizer Medien glauben machen will, sind das eigentliche Problem, sie sind immer noch die Ausnahme und von der Leserschaft auch allermeistens leicht zu durchschauen. Irreführend und gefährlich ist vielmehr das Desinformationspotential von Halbwahrheiten, wie die drei vorstehend genannten Beispiele auf eindrückliche Weise belegen Dies ist vor allem dann besonders gravierend, wenn besagte Halbwahrheiten von Personen propagiert werden, die aufgrund ihres eigenen Renommés oder jenes ihres Berufstandes ein besonderes Prestige in der Öffentlichkeit geniessen. Es ist legitim, ja für den Fortschritt der Wissenschaften unverzichtbar, Hypothesen zu formulieren. Aber es ist nicht hinnehmbar und zeugt von der Arroganz eines Teils der „Götter in weiss“, wenn der Öffentlichkeit Hypothesen als unumstössliche Tatsachen verkauft werden. Nichts gegen die Vermutung, ein jeder von uns könnte in einer noch nicht absehbaren Zeitspanne vom Corona-Virus infiziert werden. Aber alles gegen die Behauptung, dies stehe bereits fest. Und nichts gegen die Hypothese, die Forschung für einen Impfstoff gegen das Corona-Virus werde schliesslich erfolgreich sein. Aber alles gegen die anmassende Behauptung, „schnelle Ergebnisse werden kommen.“
Fazit: Fake News zuhauf – auch in der Schweizer Presse.